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Aus dem Leben

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    Aus dem Leben

    Hallo miteinander,

    meine nachfolgende Geschichte habe ich nirgends abkopiert, sondern sie ist ein Teil meines Lebens und ich habe damit in Auszügen -leider vergeblich- beim Wettbewerb "Wendepunkte" teilgenommen. (Die Gesellschafter - Aktion Mensch)

    So möchte ich den Text jetzt hier mal einstellen. Vielleicht findet ja der eine oder andere Leser Punkte, mit denen er sich identifizieren kann. Vielleicht findet ihr es auch nicht so schön. Gerne könnt ihr mir eure Meinung schreiben. Dann weiss ich, wie ich es künftig besser "rüber" bringen kann.




    Zerbrechlich und doch so stark


    Viele Momente der Begegnung mit Helfenden und Hilfesuchenden habe ich schon erlebt. Mit 21 Jahren an Krebs erkrankt, das neugeborene Baby weit weg in Obhut der Großmutter, lag ich am Tropf hängend in einem 6-Bett Zimmer einer Poliklinik. Fünf Frauen um mich herum, alle dem Tod näher, als dem Leben. Wie hoffnungslos war ich und wie schlecht ging es mir. Heimweh nach meinem Baby plagte mich schier unendlich. Eine der diensthabenden Schwestern hatte mir in einem Gespräch nahe gelegt, mein Leben noch einmal zu genießen, sie sprach von vielleicht noch sechs Wochen. Nun lag ich da und hörte, auch um mich abzulenken, den Mitpatientinnen zu. Eine Frau am Ende des Zimmers erzählte von ihren Erfahrungen im Dritten Reich. Wie sie im KZ verschimmeltes Brot essen musste und daher nun an schweren Folgen litt. Eine andere Frau, sie lag gegenüber im Krankenbett, hatte schwere Durchblutungsstörungen. Ihre Hände waren schwarz wie Teer. Die Frau neben mir, ich weiß noch ihren Namen, war eine sehr vornehme Frau. Sie war sehr lieb und nett und hilfsbereit zu mir. Stolz trug sie ihr schwarz gefärbtes Haar und erzählte mir, sie sei zum körperlichen Aufbau hier. Sie wäre schon über 80, aber sie sei doch immer noch sehr adrett? Irgendwie stimmte es und ich beneidete sie in diesem Moment, ob ihres Alters.
    Gegen 21 Uhr wollte die Damenriege gerne das Licht aus haben. Keine stand auf. Ich konnte und durfte nicht. Die nette Dame neben mir, die älteste aus der Runde hob sich noch einmal recht schwerfällig auf und schaltete das Licht aus. Ich fand es gemein, dass ausgerechnet sie noch einmal aufstehen musste. Wir wussten auch alle nicht, dass es ihr letzter Gang sein würde.

    Am nächsten Morgen, ich lag auf der Seite mit Blick zur netten alten Dame, endlich befreit vom Tropf und sie lachte mir zu. Im folgenden Moment wollte sie aufstehen aber sprichwörtlich, den Blick auf mein Gesicht gerichtet, traf sie der Schlag und sie fiel zurück in ihr Bett. Ich sprang hoch, klingelte nach der Schwester und nahm ihre Hände fest in meine. Die Dame konnte nicht mehr sprechen. Voller Panik schaute sie mir in die Augen und ich sprach beruhigend auf sie ein. Ein Ärzteteam kam, schloss sie an Maschinen an und sie wurde aus dem Zimmer nach nebenan in ein Einzelzimmer verlegt.
    Es gab keine Hilfe mehr, zwei Tage später starb sie an den Folgen des Schlaganfalls. Obwohl schon fast 26 Jahre vergangen sind, habe ich immer noch diese Bilder vor den Augen. Auch die Tochter, die so bitterlich weinte, bleibt mir in Erinnerung.
    Ich durfte damals wieder nach Hause gehen und wurde auch wieder gesund. Ein paar Jahre später sollte ich aber noch einmal mit der Situation in derselben Klinik konfrontiert werden. Durch eine schwere Gürtelrose, lag ich wieder am Tropf, aber in dem zuvor beschriebenen Einzelzimmer. Da kam eine Raumpflegerin herein und sagte: “Ach Gott und auch noch so ein junges Mädchen!“ Ich wusste ja, dass ich dieses Mal keine Angst haben musste, sterben zu müssen – aber die alte Dame, die hatte damals keine Chance mehr gehabt.
    Ich werde sie nie vergessen. Seit dieser Zeit habe ich immer ein schlechtes Gewissen, wenn Menschen, die älter oder gebrechlicher sind als ich, etwas für mich tun möchten. Manchmal müssen sie noch nicht einmal älter sein als ich. Lieber laufe ich mehrmals hin und zurück, oder Treppe rauf und runter, als andere damit zu belasten.
    Meine Einstellung mag mir neun Jahre später geholfen haben und hilft mir bestimmt auch jetzt, mit einem weiteren schweren Schicksalsschlag zurecht zu kommen. Mit einem neuen Mann in meinem Leben wurde ich wider erwarten schwanger. Ich war so glücklich, doch noch einmal ein Baby haben zu dürfen. Es war eine Zeit voller Glück, aber auch voller Ängste. Wurde doch der Krebs durch die erste Schwangerschaft ausgelöst. Die Blutwerte verschlechterten sich im Laufe der Schwangerschaft. Kleine Lymphknoten kamen dazu. Mein Mann wurde krank und kam ins Krankenhaus. Ich stand tapfer alles durch. Acht Wochen vor der Entbindung, mein Mann war wieder zu Hause, bekam ich fürchterliche Gallenkoliken. Auch die überstand ich. Dann kam der Tag, an dem der Frauenarzt den internen Wasserkopf bei meinem ungeborenen Baby entdeckte. Nun kam ich wieder ins Krankenhaus. Dieses Mal lag ich in einem Vier-Bett Zimmer. Neben einer jungen Frau, die schon ein paar Wochen zum Schutz vor einer drohenden Frühgeburt, liegen musste, gab es noch eine von Krebs schwer gezeichnete ältere Dame. Ja und dann eine sehr liebe junge Mutter. Sie hatte bereits 2 gesunde Kinder, nur dieses Mal war ihr Baby im Bauch verstorben. Es sollte mit Wehentropf zur Welt gebracht werden. Von Beruf war sie Heilpädagogin und trotz ihrer sehr traurigen Situation, führte sie mich behutsam auf den Weg, was es bedeutet, ein behindertes Kind zu bekommen. Sie nahm mir die Angst vor dem Ventil im Kopf, welches mein Baby wohl gleich nach der Geburt bekommen müsste. Ich hatte mir das Ventil nämlich in der Größenordnung eines Wasserkessels vorgestellt. Welche Kraft und Stärke hatte diese Mutter trotz ihres eigenen Leids bewiesen? Ich bin ihr heute noch unendlich dankbar. Sie hat mir so sehr geholfen.

    Mein Baby kam pünktlich zur Welt. Der Oberarzt strich ihm über die Wange und meinte, es sähe doch ganz gut aus. Was er damit gemeint hat, habe ich erst Jahre später aus einer Fachliteratur entnehmen können. Gut, dass ich es damals noch nicht wusste. Mein kleiner Junge brauchte noch nicht einmal das vorher so gefürchtete Ventil – aber sonst hatte er bei fast allen drohenden Behinderungen anscheinend hier geschrieen.
    Bei einer Notoperation in der ersten Lebenswoche erfuhr ich, dass er blind sein würde. Es war kalt. Ich war allein, mutterseelenallein in einer fremden großen Stadt und die Tränen liefen mir übers Gesicht. Ich war so unglücklich, so enttäuscht und auch wütend, warum denn nur, warum das alles? Ich weinte mich aus, musste mich dann zusammen nehmen, denn zu Hause wartete mein Mann auf mich, ihm musste ich diese Nachricht nun überbringen.
    Wir haben an diesem Abend zusammen am Tisch gesessen und zusammen geweint. Das einzige Mal, wir zusammen geweint haben. Von da an haben wir gelernt zu kämpfen.

    Was haben wir bis heute zusammen alles hinter uns gebracht? Endlose Klinikaufenthalte mit dem Ergebnis therapieresistente Epilepsie. Ein Flug mit dem Hubschrauber ins nächste Krankenhaus. Zwei Schrumpfaugen, wobei ich wahnsinnige Angst davor habe, sie meinem Kind einmal aufgrund einer Entzündung entfernen lassen zu müssen. Ich habe gelernt, anderen Müttern, denen es noch schlechter geht, Mut zu zusprechen. Ich kann trösten und zuhören. Ich kann ermutigen, ohne auf meine manchmal aussichtslosere Lage hinzuweisen. Ich hole mir die Kraft, mich meinem Leben zu stellen, in dem ich den Blick nicht verloren habe, nach anderen zu sehen, denen es noch schlechter geht. Es ist mir ein Bedürfnis den Mund da auf zu machen, wo ich sehe, dass Hilfe gebraucht wird. Meine Erfahrungen gebe ich in der Epilepsieselbsthilfe weiter. Auch die Mitarbeit in der Lebenshilfe bereitet mir große Freude. Es bringt mir ein Stück Lebensqualität. Mein großer Sohn ist damit ebenso aufgewachsen. Sein Traumberuf ist Lehrer an einer Förderschule zu werden. Dazu ist er bereits auf dem besten Weg. Noch lieber würde er dann aber auch an der Basis arbeiten, so sagt er jedenfalls - manchmal. Denn auch er unterscheidet sich etwas von den anderen Menschen. Sein Blick fällt auf die Schwächsten und er sieht Not, wo sie auch im Stillen leidet. Er holt die Kinder und Menschen da ab, wo sie stehen.
    …..und ich?? Ich habe noch eine sehr schwere Zeit vor mir. Dann nämlich, wenn mein kleiner Junge einmal aus dem Haus gehen wird, bzw. muss. Diese Zeit des Abschieds wird mir sehr schwer fallen und dann werde ich vielleicht in ein Loch fallen. Vielleicht ist dann jemand da, der mich auffängt, so wie ich es heute mit anderen, die in dieser Lage sind schon tun konnte. Erst letzthin hat mir eine Mutter erzählt, dass ihr mein online -Tagebuch in dieser Situation unheimlich geholfen hat. Das fand ich ganz toll, auch wie sie es mir erzählt hat. Ich habe gemerkt, sie hat es wirklich geschafft. Ihr Kind ist zufrieden und glücklich und sie kommt nun auch gut mit der neuen Situation zurecht.
    Das ist das, was mein Leben heute ausmacht. Vielleicht, wenn die nette alte Dame damals nicht aufgestanden wäre, um das Licht auszumachen, wer weiß, ob meine Einstellung eine andere wäre? Ich kann es nicht sagen, nur eines ist sicher, ich finde Hilfe zur Selbsthilfe wichtig und gut.

    Teil 2 folgt im nächsten Eintrag
    (ich habe die Zeichenlänge des mögliches Eintrags überschritten)

    #2
    AW: Aus dem Leben

    und weiter gehts, mit Teil 2
    Heutzutage sind Menschen die nicht nur an sich denken, sondern auch das Leid vor der Tür sehen, selten geworden. Oft stößt man auf Unverständnis. Wenn alle aber so denken würden, was wäre dann? Niemand hat das Glück auf ewig gepachtet. Menschen die heute vorbeigehen, können morgen selbst betroffen sein. Manchmal geht es auch schneller, als man denkt. Wenn ich da an meine Nachbarin denke, die auf einmal einen Tumor hinter dem Auge hatte. Zuversichtlich führte sie noch ein Gespräch mit mir. Obgleich ihres eigenen schweren Leids bereitete sie mir eine unendliche Freude damit. Sie erwähnte dass es ihr immer eine Freude sei, unseren behinderten Jungen im Garten reden zu hören. Mit diesen Worten hat sie mir so viel Freude und Wärme gegeben, dass werde ich ihr nie vergessen.
    Als man sie nur wenige Monate später zu Grabe trug, schrieb ich diese Worte an ihre Familie. Auf der Beerdigung am offenen Grab dankten mir ihre Kinder und ihr Ehemann dafür. Meine Karte war sein großer Trost und er erwähnte, er hätte sie schon unendlich viele Male in der Hand gehabt und sie würde ihm so gut tun.
    Auch da gab eigenes Leid dem anderen Trost und kam genauso wieder zurück. Eine andere wahre Begebenheit erlebte ich im Zuge einer Beschäftigung in einem Pflegeheim. Eine Mutter zeigte mir voller stolz die Bilder von ihren Kindern, die weiter weg in einer Einrichtung lebten. Dabei stiegen ihr die Tränen in die Augen und sie versicherte mir und vermutlich sich selbst, es würde den Jungs gut gehen. Wie sehr konnte ich sie verstehen und auf sie eingehen. Es hat ihr gut getan. Sie zeigte mir, wie man leben kann, auch im Alter, wenn die „Besonderen Kinder“ einmal in einer Einrichtung leben. Ich war jemand, der genau verstand, was sie fühlte. Von mir kamen keine Floskeln, sondern wir liefen auf einer Wellenlänge. Einmal im Jahr kommen ihre Jungs zu Besuch. Was das tragische an ihrem Fall ist, es gab auch einen Sohn ohne Behinderung, der starb aber recht jung bei einem Motorradunfall. Hut ab vor dieser Frau und danke, dass ich sie kennen lernen durfte. In diesem Heim kam es auch noch zu einem weiteren Erlebnis dieser Art. Eine Frau, die von den anderen als schwierig eingestuft wurde, war mir zugewiesen worden. Irgendwie mochte ich sie gerne. An einem Sommerfest konnte ich die Bekanntschaft mit ihrer Tochter und ihrem Sohn machen. Der Sohn saß im Rollstuhl und die Schwester klärte mich auf. Er hatte genau wie ich den gleichen Krebs. Ebenso wie ich wurde er gesund. Genau wie ich bekam er die Gürtelrose, nur befielen die Viren sein Gehirn und so wurde er, sonst völlig gesund, in den Rollstuhl verbannt.
    Von diesem Tag hatte ich noch mehr Achtung vor der alten Dame. Es war ein Geben und Nehmen. Sie war die Mutter des nun behinderten Mannes und es hat ihr bestimmt auch viel Trauer eingebracht. Leider war sie nun schon ziemlich Demenz, aber wir beide haben uns gut verstanden.
    Dann fällt mir noch mein Papa ein. Er war sehr schwer krank und dem Tod sehr Nahe. Ich saß ihm gegenüber im Sessel. Er bekam nur noch schwer Luft, sein Gesicht war eingefallen und sein Blick unendlich traurig. Mir tat die Schulter weh und ich massierte mein Gelenk. Er nickte mir mit dem Kopf zu, schien zu fragen, was ich hätte? Reden konnte er schon lange nicht mehr. Er war in Sorge um mich und gab mir in seinen letzten Stunden noch Trost, so wie ich es ihm gab, indem ich bei ihm war. Ein paar Stunden später war er einfach zusammengesunken und gestorben. Diesen Blick, diese Szene werde ich niemals mehr vergessen. Es verbindet mich immer mit meinem Vater.
    In dieser schweren Zeit gab es jemanden in unserem Leben, der wie ein Engel auch für uns alle da war. Sie kam vom Sozialen Dienst zur Betreuung von Stefan. Sie hörte immer zu, gab Wärme, Zuneigung und Zuversicht. Sie hat mich in dieser schweren Zeit einfach nur durch ihr da sein wieder aufgebaut. Solche Menschen trifft man nicht alle Tage, aber sie sind da. Sie kommen, wenn man sie braucht und genauso verschwinden sie dann wieder. Unser Engel ist nach Amerika ausgewandert und heute gibt es da viele kleine und große Leute für die sie eine große Hilfe ist, einfach nur dadurch, dass es sie gibt.

    Vergesst nie, wir alle sind irgendwo für irgendjemanden besonders wertvoll, auch wenn wir es vielleicht noch nicht einmal merken.
    Kirsten Simon

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      #3
      AW: Aus dem Leben

      Hallo Kirsty,

      eben las ich aus deinem Leben und bin schwer beeindruckt, wie du die Schicksalsschläge überstehst.
      Da gehört viel Kraft dazu.
      Wir neigen dazu, uns mit Leuten zu vergleichen, denen es (vermeintlich) besser geht.
      Ich ermahne mich selbst oft, an Leute zu denken, denen es weitaus schlechter geht als mir. Das hilft in Frust - Zeiten.
      Allerdings denke ich, dass es immer Menschen gibt, mit noch schlimmerem Schicksal als man selbst...

      Jedenfalls finde ich deinen Beitrag interessant u. gut geschrieben.

      Weiterhin viel Kraft wünscht

      Kiri

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